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Autorin Daniela Wiessner

Daniela Wiessner

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Fleischgenuss und Krebs

Lange Zeit stand Fleischgenuss – allem voran der Verzehr von rotem Fleisch – unter dem Verdacht, das Krebsrisiko zu erhöhen. Doch es gibt neue Erkenntnisse. Denn wieder einmal ist die Wissenschaft, die sich nun selbst korrigiert. Ein neue Langzeitstudie mit fast 16.000 Teilnehmern über 20-30 Jahre liefert überraschende Erkenntnisse: Der Verzehr von tierischem Protein könnte das Krebsrisiko nicht nur nicht erhöhen (gleich eine doppelte Verneinung!) – sondern sogar senken! Was soll man eigentlich noch glauben?

Diese Ergebnisse stehen im direkten Widerspruch zu jahrelangen Warnungen und der WHO-Klassifizierung von rotem Fleisch als „wahrscheinlich krebserregend“. Was bedeutet das jetzt für deine Ernährungsentscheidungen und warum spielt die Qualität des Fleisches dabei die entscheidende Rolle?

Die überraschende Kehrtwende

Die 2025 in „Applied Physiology, Nutrition, and Metabolism“ veröffentlichte Studie verfolgte fast 16.000 Erwachsene über Jahrzehnte und analysierte fast 4.000 Todesfälle zwischen 1988 und 2006. Das Ergebnis ist bemerkenswert: Menschen, die nur eine halbe Unze mehr tierisches Protein pro Tag konsumierten, hatten ein um etwa 20 Prozent geringeres Risiko, an Krebs zu sterben. Bei einer Unze mehr sank das Risiko sogar um fast 40 Prozent!

Im Gegensatz zu vielen früheren Ernährungsstudien, die auf oft fehleranfälligen Erinnerungen der Teilnehmer basieren, nutzte diese Analyse fortschrittliche statistische Modellierung. Die Forscher untersuchten zudem den Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktor 1 (IGF-1), der oft als Krebsförderer durch Proteinkonsum verdächtigt wird – fanden jedoch keine Verbindung zwischen IGF-1-Spiegeln und dem Krebsrisiko.

Der dramatische Kontrast zur 2014-Studie

Diese Ergebnisse stehen in direktem Widerspruch zu einer vielzitierten Studie aus dem Jahr 2014, die unter der Leitung von Valter Longo behauptete, eine proteinreiche Ernährung im mittleren Alter würde die Wahrscheinlichkeit zu sterben fast verdoppeln und die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu sterben, sogar vervierfachen. Diese alarmierenden Aussagen gingen damals durch die Medien mit Schlagzeilen wie „Fleisch und Käse könnten so schädlich sein wie Rauchen“. Die methodischen Unterschiede zwischen den Studien sind erheblich – die ältere Studie teilte Teilnehmer oft in breite, ungleiche Gruppen wie „niedrige“ versus „hohe“ Proteinesser ein, ein Ansatz, der zu Verzerrungen führen kann.

Die WHO-Klassifikation von Fleisch: Noch aktuell?

Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der WHO klassifizierte 2015 rotes Fleisch als „wahrscheinlich krebserregend“ (Gruppe 2A) und verarbeitetes Fleisch sogar in derselben Kategorie wie Tabakrauchen und Asbest (Gruppe 1, krebserregend für Menschen). Diese Einstufungen beschreiben allerdings die Stärke der wissenschaftlichen Beweise, nicht das tatsächliche Risikoniveau.

Die stärksten – wenn auch begrenzten – Beweise für eine Verbindung mit dem Verzehr von rotem Fleisch bestehen für Darmkrebs, mit schwächeren Hinweisen auf Verbindungen mit Bauchspeicheldrüsen- und Prostatakrebs. Bei verarbeitetem Fleisch kam die IARC zu dem Schluss, dass es Darmkrebs verursachen kann, wobei jede täglich verzehrte 50-Gramm-Portion das Risiko um 18% erhöht.

Die neue Langzeitstudie stellt diese pauschalen Klassifikationen nun in Frage und deutet darauf hin, dass die Realität komplexer ist als bisher angenommen.

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Warum die Fleischqualität entscheidend ist

Ein entscheidender Faktor, der in der Debatte oft übersehen wird: nicht jedes Fleisch ist gleich. Nach 30-jähriger Forschung stellten Wissenschaftler fest, dass grasgefüttertes Rindfleisch im Vergleich zu konventionellem Feedlot-Fleisch dreimal mehr Omega-3-Fettsäuren, siebenmal mehr Vitamin A und zehnmal mehr Vitamin E enthält. Zudem weist es höhere Konzentrationen von krebsbekämpfenden Antioxidantien wie Glutathion und Superoxiddismutase auf.

Besonders interessant ist die konjugierte Linolsäure (CLA), die in grasgefüttertem Fleisch oft doppelt so hoch konzentriert ist wie in getreidegefüttertem. CLA hat sich einen Ruf als Anti-Krebs-Nährstoff erworben, mit vielversprechenden Hinweisen auf positive Wirkungen bei einigen Krebsarten.

Die Rolle der Verarbeitung und Zubereitung

Nicht nur die Herkunft des Fleisches, sondern auch seine Verarbeitung und Zubereitung beeinflussen das Krebsrisiko erheblich. Fleischverarbeitung wie Pökeln oder Räuchern kann zur Bildung potenziell krebserregender Chemikalien wie N-Nitroso-Verbindungen und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen führen.

Auch die Kochmethode spielt eine Rolle: Hochtemperaturkochen, besonders über offener Flamme (Grillen, Barbecue), kann krebserregende Substanzen wie heterozyklische aromatische Amine produzieren. Diese Faktoren erklären möglicherweise, warum verarbeitetes Fleisch in Studien konsistent mit höheren Krebsrisiken verbunden ist als frisches Fleisch.

Forschungslücken: Bio vs. Konventionell

Trotz der umfangreichen Forschung bestehen weiterhin erhebliche Wissenslücken. In der überprüften Forschung gab es keine Studien, die das krebserregende Risiko von grasgefüttertem versus konventionell gefüttertem Fleisch direkt verglichen. Auch kommentierte keine der großen Studien, ob das konsumierte tierische Protein biologisch oder grasgefüttert war – ein entscheidender Mangel angesichts der nachgewiesenen Nährstoffunterschiede.

Überraschenderweise zeigte eine Studie zu persistenten organischen Schadstoffen (POPs), dass biologisch produziertes Fleisch nicht unbedingt ein geringeres Krebsrisiko bietet – es könnte sogar höher sein. Diese kontraintuitive Erkenntnis unterstreicht die Komplexität des Themas und den Bedarf an weiterer Forschung.

Dein persönlicher Weg durch den Protein-Dschungel

Was bedeuten diese widersprüchlichen Erkenntnisse für deine täglichen Ernährungsentscheidungen? Die neue Studie entlastet tierisches Protein von seinem Ruf als Krebsverursacher und deutet sogar auf potenzielle Schutzwirkungen hin. Dies ist jedoch keine Einladung zu unbegrenztem Fleischkonsum.

Stattdessen legen die Erkenntnisse nahe, dass Qualität über Quantität steht: Wähle grasgefüttertes und unverarbeitetes Fleisch, vermeide stark verarbeitete Fleischprodukte und achte auf schonende Zubereitungsmethoden. Die Balance zwischen tierischen und pflanzlichen Proteinen bleibt wichtig, wobei individuelle Faktoren wie Alter, Aktivitätsniveau und Gesundheitszustand berücksichtigt werden sollten.

Jenseits der Schlagzeilen: Die Wissenschaft der Ernährung neu denken

Die dramatische Kehrtwende in der Bewertung tierischen Proteins mahnt zur Vorsicht gegenüber vereinfachenden Ernährungsempfehlungen. Wissenschaftliche Erkenntnisse entwickeln sich weiter, und was heute als gesichert gilt, kann morgen überholt sein. Diese Entwicklung unterstreicht die Bedeutung einer differenzierten, individuellen Herangehensweise an Ernährung statt pauschaler Verbote oder Empfehlungen.

Besonders wichtig: Die Qualität deiner Nahrungsmittel kann entscheidender sein als breite Kategorien wie „tierisch“ oder „pflanzlich“. In einer Zeit, in der Ernährungstrends kommen und gehen, bleibt die Rückbesinnung auf hochwertige, möglichst naturbelassene Lebensmittel ein zuverlässiger Kompass für langfristige Gesundheit.

Quellen:

Grundlegende Studie: Publication: Applied Physiology, Nutrition, and Metabolism
16 July 2025
https://doi.org/10.1139/apnm-2023-0594

sciencedaily.com – Eating meat may protect against cancer, landmark research shows

sciencedaily.com – Meat and cheese may be as bad for you as smoking

who.int – Cancer: Carcinogenicity of the consumption of red meat and processed meat

Bildquelle: istockphoto.com
Gegrilltes trockenes Tomahawk-Steak | credits @ AlexRaths

🩺 Medizinisch geprüft

Dieser Beitrag wurde fachlich geprüft von Dr. med. Verena Immer. Sie ist Ärztin für Integrative und Anti-Aging-Medizin mit einem ganzheitlichen Ansatz, der schulmedizinisches Wissen mit komplementären Methoden verbindet. Sie hat erfolgreich das Konzept der individualisierten Medizin in ihrer eigenen Praxis bei München angewendet und bietet derzeit personalisierte Medizin – mit Schwerpunkt Longevity – in der Schweiz an.

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