
Plastik ist überall. In unseren Meeren, in der Luft, im Boden und – wie neueste Forschungen zeigen – auch in unserem Körper. Während wir die großen Plastikberge in den Ozeanen sehen können, bleibt eine andere Form der Verschmutzung oft unbemerkt: Mikroplastik. Diese winzigen Partikel, kleiner als fünf Millimeter, haben sich mittlerweile in jeden Winkel unseres Planeten und sogar in unsere Körper vorgearbeitet.
Die stille Invasion der Kunststoffpartikel
Das Problem mit Plastik ist seine Beständigkeit. Stellt Dir einfach vor, dass deine Zahnbürste aus der Kindheit immer noch existiert. Denn anders als organische Materialien zersetzt sich Kunststoff nicht vollständig in der Umwelt. Stattdessen zerfällt er in immer kleinere Teile – bis hin zu Mikroplastik und noch kleineren Nanopartikeln. Diese winzigen Fragmente sind so allgegenwärtig, dass sie vom tiefsten Meeresgrund bis zum höchsten Berggipfel nachgewiesen wurden.
Besonders beunruhigend ist die Entdeckung von Mikroplastik in menschlichen Geweben. Studien haben diese Partikel bereits in Blut, Stuhl und sogar in der Plazenta nachgewiesen. Laut einer Untersuchung, die in der Fachzeitschrift GEO veröffentlicht wurde, fanden Forschende Mikroplastik in jeder untersuchten Plazenta – ein alarmierender Befund, der Fragen zur Gefährdung ungeborenen Lebens aufwirft.
Der schwierige Weg zur wissenschaftlichen Erkenntnis
Die Erforschung der gesundheitlichen Auswirkungen von Mikroplastik stellt Wissenschaftler vor enorme Herausforderungen. Ein grundlegendes Problem: Es gibt keine Kontrollgruppen mehr. Da Mikroplastik buchstäblich allgegenwärtig ist, findet man keine Menschen, die nicht mit diesen Partikeln in Kontakt gekommen sind.
Diese Allgegenwärtigkeit macht es nahezu unmöglich, Vergleichsstudien durchzuführen, bei denen eine Gruppe ohne Mikroplastikbelastung als Referenz dienen könnte. Wie soll man die gesundheitlichen Auswirkungen einer Substanz untersuchen, wenn ihr praktisch jeder Mensch ausgesetzt ist?
Hinzu kommen methodische Schwierigkeiten. Die Vielfalt der Kunststoffarten und Partikelgrößen erschwert die Identifizierung und Quantifizierung. Zudem variieren die Aufnahmewege – über Luft, Nahrung oder Haut – und die Verweildauer im Körper erheblich. Selbst bei der Probenentnahme und -analyse besteht die Gefahr der Kontamination, was zu verfälschten Ergebnissen führen kann.
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Next level – Wissenschaftler finden Mikroplastik in der Plazenta
Jedes Ungeborene startet sein Leben heute mit einem Cocktail aus Mikroplastik im Gepäck. Nicht symbolisch – ganz real. Eine aktuelle Studie veröffentlicht im Februar 2024 hat in allen untersuchten Plazentas Mikroplastik nachgewiesen. Mithilfe hochspezialisierter Analysemethoden (Pyrolyse-Gaschromatographie und Massenspektrometrie) konnten Forscher Mikro- und Nanoplastikpartikel in 100 % der untersuchten Plazentaproben (n=62) identifizieren – in Konzentrationen von 6,5 bis zu 685 Mikrogramm pro Gramm Gewebe. Im Schnitt fanden sich rund 127 Mikrogramm pro Gramm.
Was lange als Umweltproblem galt, ist inzwischen ein medizinischer Notstand – nur redet kaum jemand darüber. Die Mutter-Kind-Schnittstelle ist kein Schutzraum mehr, sondern Teil eines Systems, das Konsum über Gesundheit stellt. Und während wir noch diskutieren, ob man Plastik verbieten sollte, wächst eine Generation heran, deren erste Zellen bereits kontaminiert sind.
Die Implikationen dieses Fundes sind weitreichend und wirft Fragen auf. Könnte Mikroplastik die Fruchtbarkeit beeinträchtigen? Welche Auswirkungen hat es auf die Entwicklung eines Embryos? Fragen, auf die wir dringend Antworten benötigen, aber deren Erforschung durch die bereits erwähnten methodischen Probleme erschwert wird.

Potenzielle Gesundheitsrisiken – mehr Fragen als Antworten
Obwohl die Forschung zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Mikroplastik noch in den Kinderschuhen steckt, gibt es bereits beunruhigende Hinweise. Laborstudien haben gezeigt, dass Mikroplastikpartikel Entzündungsreaktionen auslösen, das Immunsystem beeinträchtigen und sogar in Zellen eindringen können.
Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass Kunststoffe oft Zusatzstoffe wie Weichmacher, Flammschutzmittel oder Stabilisatoren enthalten, die als hormonell wirksame Substanzen bekannt sind. Diese könnten das endokrine System stören und zu einer Vielzahl von Gesundheitsproblemen führen.
Zudem besteht die Möglichkeit, dass Mikroplastik als Träger für andere Schadstoffe dient. Die Partikel können Umweltgifte wie PCBs oder Schwermetalle absorbieren und in den Körper transportieren, wo diese freigesetzt werden könnten.
Wie können wir uns vor Mikroplastik schützen?
Liest man dies, stellt sich die Frage: Können wir uns überhaupt schützen? Eine vollständige Vermeidung scheint in der heutigen Welt kaum mehr möglich. Dennoch gibt es Maßnahmen, die die persönliche Exposition reduzieren können:
Diese Maßnahmen mögen im Angesicht des globalen Problems wie ein Tropfen auf den heißen Stein erscheinen, doch jede Reduktion der persönlichen Exposition ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Die gesellschaftliche Dimension des Problems
Das Mikroplastikproblem ist letztlich ein gesellschaftliches und politisches Problem. Es erfordert umfassende Maßnahmen zur Reduktion von Plastikabfällen und zur Förderung nachhaltiger Alternativen. Deutschland hat mit dem Verbot bestimmter Einwegplastikartikel bereits erste Schritte unternommen, doch weitere Maßnahmen sind dringend notwendig.
Gleichzeitig müssen wir die Forschung zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Mikroplastik intensivieren. Nur mit einem besseren Verständnis der Risiken können wir angemessene Schutzmaßnahmen entwickeln und umsetzen.
Ein Weckruf für unsere Gesellschaft
Die Entdeckung von Mikroplastik in menschlichen Geweben, einschließlich der Gebärmutter, sollte als Weckruf verstanden werden. Wir haben eine Welt geschaffen, in der künstliche, nicht abbaubare Substanzen jeden Aspekt unserer Umwelt und unseres Körpers durchdringen.
Es ist an der Zeit, unser Verhältnis zu Kunststoffen grundlegend zu überdenken. Plastik hat zweifellos viele nützliche Eigenschaften, doch sein unkontrollierter Einsatz und seine mangelhafte Entsorgung haben zu einer globalen Krise geführt, deren Ausmaß wir erst zu begreifen beginnen.
Die Herausforderung besteht darin, innovative Lösungen zu finden, die die Vorteile von Kunststoffen bewahren, ohne ihre negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit. Dies erfordert ein Umdenken in Produktion, Konsum und Entsorgung – eine Aufgabe, die nur gemeinsam bewältigt werden kann.
Quellen:
- Antonio Ragusa, Alessandro Svelato, Criselda Santacroce, Piera Catalano, Valentina Notarstefano, Oliana Carnevali, Fabrizio Papa, Mauro Ciro Antonio Rongioletti, Federico Baiocco, Simonetta Draghi, Elisabetta D’Amore, Denise Rinaldo, Maria Matta, Elisabetta Giorgini,
Plasticenta: First evidence of microplastics in human placenta,
Environment International, Volume 146, 2021, 106274, ISSN 0160-4120,
https://doi.org/10.1016/j.envint.2020.106274. - Marcus A Garcia, Rui Liu, Alex Nihart, Eliane El Hayek, Eliseo Castillo, Enrico R Barrozo, Melissa A Suter, Barry Bleske, Justin Scott, Kyle Forsythe, Jorge Gonzalez-Estrella, Kjersti M Aagaard, Matthew J Campen, Quantitation and identification of microplastics accumulation in human placental specimens using pyrolysis gas chromatography mass spectrometry, Toxicological Sciences, Volume 199, Issue 1, May 2024, Pages 81–88, https://doi.org/10.1093/toxsci/kfae021
- Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Mikroplastik: Fakten, Forschung und offene Fragen
🩺 Medizinisch geprüft
Dieser Beitrag wurde fachlich geprüft von Dr. med. Verena Immer. Sie ist Ärztin für Integrative und Longevity-Medizin mit einem ganzheitlichen Ansatz, der schulmedizinisches Wissen mit komplementären Methoden verbindet. Sie hat erfolgreich das Konzept der individualisierten Medizin in ihrer eigenen Praxis bei München angewendet und bietet derzeit personalisierte Medizin – mit Schwerpunkt Longevity – in der Schweiz an.
Bildquelle: istockphotos.com |
- Makroaufnahme auf einem Haufen Mikroplastik | credits @ Svetlozar Hristov
- Menschlicher Fötus | credits @ Mohammed Haneefa Nizamudeen
- Mikroplastik-Konzept | credits @ tumsasedgars
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