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Autorin Daniela Wiessner

Daniela Wiessner

Gliederung:

Chatgpt

Wie Künstliche Intelligenz unsere Denkprozesse verändert und was das für die Zukunft des Lernens bedeutet

Stell Dir vor, Du schreibst einen Text mit ChatGPT und kannst Dich zwei Minuten später nicht mehr daran erinnern, was Du geschrieben haben. Klingt absurd? Genau das passiert gerade Millionen von Menschen – und sie merken es nicht einmal.

Dr. Nataliya Kosmyna vom MIT Media Lab hat zusammen mit ihrem Team ein bemerkenswertes Experiment durchgeführt: Sie verkabelte 54 Probanden mit EEG-Geräten und ließ sie vier Monate lang Essays schreiben. Es wurden drei Sitzungen mit derselben Gruppenzuordnung für jeden Teilnehmer durchgeführt.

In der vierten Sitzung wurden die Teilnehmer der LLM-Gruppe gebeten, keine Tools zu verwenden (LLM-to-Brain-Gruppe), und die Teilnehmer der Nur-Gehirn-Gruppe wurden gebeten, LLM zu verwenden (Brain-to-LLM). Für die Sitzungen 1,2 und 3 wurden insgesamt 54 Teilnehmer rekrutiert, von denen 18 die Sitzung 4 abschlossen. Was dabei herauskam, sollte jeden zum Nachdenken bringen, der regelmäßig KI-Tools verwendet.

Die Studie „Your Brain on ChatGPT: Accumulation of Cognitive Debt when Using an AI Assistant for Essay Writing Task“ offenbart eine beunruhigende Wahrheit: Jeder Klick auf „Generieren“ verändert unser Gehirn – und nicht zum Besseren.

Das Experiment: Drei Welten des Denkens

Die Forscher teilten die Probanden in drei Gruppen ein:

  1. Die LLM-Gruppe: Teilnehmer, die ausschließlich ChatGPT-4o zum Verfassen ihrer Essays verwendeten
  2. Die Suchmaschinen-Gruppe: Nutzer, die auf traditionelle Google-Suche angewiesen waren
  3. Die Brain-only-Gruppe: Menschen, die völlig ohne digitale Hilfsmittel arbeiteten

Was sie entdeckten, stellt unser Verständnis von KI-unterstütztem Lernen fundamental in Frage.

Visualisierung einer neuen Studie zu KI-Chatbots von Wissenschaftlern des MIT Media Lab. Nataliya Kosmyna. Quelle: https://arxiv.org/pdf/2506.08872v1

Die erschreckende Wahrheit über kognitive Verarmung

Use it or loose it – Wenn das Gehirn verlernt zu denken

Die EEG-Analyse präsentierte robuste Beweise dafür, dass LLM-, Suchmaschinen- und Gehirn-only-Gruppen signifikant unterschiedliche neuronale Konnektivitätsmuster aufwiesen, die divergente kognitive Strategien widerspiegelten. Besonders alarmierend: Die Gehirnkonnektivität skalierte systematisch nach unten mit der Menge an externer Unterstützung.

  • Die Gehirn-only-Gruppe zeigte die stärksten, weitreichendsten Netzwerke.
  • Die Suchmaschinen-Gruppe demonstrierte mittleres Engagement, während
  • die LLM-Unterstützung die schwächste Gesamtkopplung hervorrief.

Das Paradox des vergessenen Wissens

Ein besonders beunruhigendes Phänomen offenbarte sich in der Fähigkeit der Teilnehmer, ihre eigenen Texte zu zitieren. 83,3% der Teilnehmer in der LLM-unterstützten Gruppe (15/18) konnten kein korrektes Zitat liefern, während nur 11,1% (2/18) sowohl in der Suchmaschinen- als auch in der Gehirn-only-Gruppe dieselbe Schwierigkeit hatten. Diese Zahlen sprechen eine klare Sprache:

Wenn wir unsere kognitiven Prozesse an KI-Systeme auslagern, verlieren wir nicht nur die Kontrolle über den Denkprozess – wir vergessen sogar, was wir selbst „gedacht“ haben.

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Die neuronale Architektur des Vergessens

Alpha-Wellen: Das Gedächtnis schwächt sich ab

Die Forscher entdeckten dramatische Unterschiede in den Gehirnwellen-Mustern. Die Alpha-Band-Konnektivität wird oft mit interner Aufmerksamkeit und semantischer Verarbeitung während kreativer Ideenfindung assoziiert. Die höhere Alpha-Konnektivität in der Gehirn-only-Gruppe deutet darauf hin, dass das Schreiben ohne Unterstützung höchstwahrscheinlich eine stärkere intern gesteuerte Verarbeitung induzierte.

Theta-Wellen: Wenn das Arbeitsgedächtnis kapituliert

Noch dramatischer zeigten sich die Veränderungen in den Theta-Wellen, die für Arbeitsgedächtnis und exekutive Kontrolle verantwortlich sind. Die viel höhere Theta-Konnektivität in der Gehirn-only-Gruppe deutet stark darauf hin, dass das Schreiben ohne Unterstützung eine größere kognitive Belastung für die Teilnehmer darstellte und ihre zentralen exekutiven Prozesse aktivierte.

Das philosophische Dilemma: Wer denkt wirklich?

Die Erosion der geistigen Eigentumsrechte

Ein philosophisch tiefgreifender Aspekt der Studie betrifft das Gefühl der Urheberschaft. Die berichtete Eigentumswahrnehmung der LLM-Gruppe bezüglich ihrer Essays war in den Interviews gering. Die Suchmaschinen-Gruppe hatte eine starke Eigentumswahrnehmung, aber geringer als die Gehirn-only-Gruppe.

Was bedeutet es für unsere Identität als denkende Wesen, wenn wir nicht mehr unterscheiden können, welche Gedanken wirklich unsere eigenen sind?

Der Verlust der kognitiven Autonomie

Die LLM-Gruppe fiel auch in ihrer Fähigkeit zurück, aus den Essays zu zitieren, die sie nur wenige Minuten zuvor geschrieben hatten. Dies ist mehr als nur ein Gedächtnisproblem – es ist ein Zeichen für den Verlust der kognitiven Autonomie, die uns als Menschen definiert.

Sitzung 4 – Wenn die Krücken weggenommen werden

In einem besonders aufschlussreichen Teil der Studie tauschten die Forscher die Gruppen.

In Sitzung 4 tauschten die Probanden die Gruppen. Dabei zeigte die LLM-to-Brain-Gruppe eine schwächere neuronale Konnektivität und eine unterdurchschnittliche Aktivität der Alpha- und Beta-Netzwerke. Die Brain-to-LLM-Teilnehmer hingegen zeigten ein besseres Erinnerungsvermögen und eine erneute Aktivierung weit verbreiteter okzipito-parietal und präfrontaler Knotenpunkte zeigten. Was wahrscheinlich die visuelle Verarbeitung unterstützt, ähnlich wie es häufig in der Suchmaschinengruppe beobachtet wurde.

Diese Erkenntnisse offenbaren eine beunruhigende Wahrheit: Einmal an KI gewöhnt, kann unser Gehirn nicht einfach zu seinem ursprünglichen Zustand zurückkehren.

Sprachlicher Fingerabdruck der KI

N-Gramm-Analyse: Der Fingerabdruck der Algorithmen

Die linguistische Analyse enthüllte verräterische Muster. Die LLM-Gruppe produzierte statistisch homogene Essays innerhalb jedes Themas und zeigte signifikant weniger Abweichung im Vergleich zu den anderen Gruppen. Besonders aufschlussreich war die Häufung bestimmter Phrase-Muster: Während die Gehirn-only-Gruppe Begriffe wie „wahres Glück“ und „anderen helfen“ verwendete, konzentrierte sich die LLM-Gruppe auf „Karriere wählen“ und „persönlicher Erfolg“.

Die Homogenisierung des Denkens

Dieser sprachliche Fingerabdruck verrät mehr als nur Wortwahl – er zeigt, wie KI-Systeme unsere Denkstrukturen heimlich homogenisieren. Essays, die mit Hilfe von LLMs geschrieben wurden, trugen eine geringere Bedeutung oder einen geringeren Wert für die Teilnehmer. Sie verbrachten weniger Zeit mit dem Schreiben und scheiterten meist daran, ein Zitat aus ihren Essays zu liefern.

Die philosophischen Implikationen: Was bedeutet es, Mensch zu sein?

Cogito, ergo sum: Ich denke, also bin ich!
Aber: Bin ich noch, wenn ich nicht mehr denke?

Der Verlust der kognitiven Authentizität

Die MIT-Studie konfrontiert uns mit fundamentalen Fragen über die Natur des menschlichen Denkens. Wenn unsere Gedanken zunehmend von Algorithmen geformt werden, was bleibt dann von unserer intellektuellen Autonomie übrig?

Die Akkumulation kognitiver Schulden

Die MIT-Forscher führen es uns vor Augen: Die Lernfähigkeit der Menschen nimmt mit KI ab. Diese Studie liefert die ersten wissenschaftlichen Beweise dafür. Was heute als harmloses Hilfsmittel beginnt, könnte morgen zu einer Generation führen, die das Denken verlernt hat.

Die Forscher führen den Begriff der „kognitiven Verschuldung“ ein – eine Metapher, die beschreibt, wie die kurzfristige Bequemlichkeit der KI-Nutzung langfristige kognitive Kosten verursacht.

Der Weg nach vorn: Zwischen Technologie und Menschlichkeit

Hybrid-Strategien für eine bewusste Zukunft

Die Studie plädiert nicht für eine komplette Ablehnung der KI, sondern für einen bewussteren Umgang: „Es wäre wichtig, Hybrid-Strategien zu erforschen, bei denen KI Routine-Aspekte der Schreibkomposition übernimmt, während kernkognitive Prozesse, Ideengenerierung, Organisation und kritische Überarbeitung nutzergesteuert bleiben.“

Die Bewahrung der menschlichen Essenz

Wir müssen wir mit KI nun aktiv dafür entscheiden, unsere kognitiven Fähigkeiten zu kultivieren und zu erhalten. Die MIT-Studie zeigt uns nicht nur die Risiken auf, sondern auch den Weg zu einer bewussteren, ausgewogeneren Beziehung mit künstlicher Intelligenz.

Fazit: Der Preis des delegierten Denkens

Die Nutzung von LLM hatte messbare Auswirkungen auf die Teilnehmer, und während die Vorteile zunächst offensichtlich waren, wie wir über den Verlauf von 4 Monaten demonstrierten, schnitten die Teilnehmer der LLM-Gruppe schlechter ab als ihre Kollegen in der Gehirn-only-Gruppe auf allen Ebenen: neural, linguistisch, bewertend.

Diese Erkenntnis sollte uns alle innehalten lassen. In unserem Streben nach Effizienz und Bequemlichkeit dürfen wir nicht das verlieren, was uns am menschlichsten macht: unsere Fähigkeit zu denken, zu reflektieren und authentische Verbindungen zu unseren eigenen Gedanken zu schaffen.

Die Zukunft gehört nicht denjenigen, die KI am besten nutzen können, sondern denjenigen, die lernen, mit ihr zu tanzen, ohne dabei ihre eigene geistige Choreographie zu vergessen.

Dieser Artikel basiert auf der Studie „Your Brain on ChatGPT: Accumulation of Cognitive Debt when Using an AI Assistant for Essay Writing Task“ von Nataliya Kosmyna et al., MIT Media Lab, 2025.

Schlagwörter: ChatGPT, Künstliche Intelligenz, Gehirn, Kognition, MIT-Studie, KI-Auswirkungen, Neurowissenschaft, Lernen, Technologie, Bewusstsein

Quelle:

Your Brain on ChatGPT: Accumulation of Cognitive Debt when Using an AI Assistant for Essay Writing Task

  • Nataliya Kosmyna, MIT Media LabCambridge, MA
  • Eugene Hauptmann, MIT Cambridge, MA
  • Ye Tong Yuan, Wellesley College, Wellesley, MA
  • Jessica Situ, MIT Cambridge, MA
  • Xian-Hao Liao, Mass. College of Art, and Design (MassArt), Boston, MA
  • Ashly Vivian Beresnitzky, MIT Cambridge, MA
  • Iris Braunstein, MIT Cambridge, MA
  • Pattie Maes, MIT Media Lab, Cambridge, MA

Bildquelle: istockphoto.com |

  1.  Anwendungen für künstliche Intelligenz chatgpt deepseek gemini | credits @ lixu
  2. 3D-Gehirn des Menschen mit Verbindungspunkten und Plexuslinien.| credits @ onurdongel

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