Epigenetik

Gene sind kein Schicksal

Epigenetik

Was die Gene mit Gesundheit zu tun haben und wie sich daran drehen lässt

Ob wir an Krebs erkranken oder davon verschont bleiben, ob wir ein hohes Alter erreichen oder viel zu jung sterben, kann in unseren Genen verankert sein. Bislang glaubte man, das wäre ein unausweichliches Schicksal. Genauso wie, ob man temperamentvoll oder ruhig, groß oder klein ist. Die Epigenetik lehrt uns: Wichtiger als die Gene sind fast immer unsere Erfahrungen, unser Verhalten, unsere Umwelt und unser Lebensstil.

Die Erforschung der Epigenetik hat in den letzten Jahrzehnten neue Perspektiven auf die Beziehung zwischen Genen, Lebensstil und Gesundheit eröffnet. Epigenetische Mechanismen können uns nicht nur helfen, Krankheiten besser zu verstehen, sondern auch aktiv unsere Gesundheit zu beeinflussen. Wir können unser Erbgut zu großen Teilen selbst steuern und damit unser Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Was bedeutet Epigenetik?

Im Gegensatz zu genetischen Veränderungen sind epigenetische Veränderungen reversibel und verändern nicht die DNA-Sequenz. Und doch können sie die Art und Weise verändern, wie dein Körper eine DNA-Sequenz liest.

Die Auswirkungen unseres Verhaltens

Was hast du heute morgen gefrühstückt? Treibst du regelmäßig Sport? Folgen in deinem Leben auf Anspannung immer auch Phasen der Entspannung? War die Schwangerschaft deiner Mutter mit dir glücklich?

Warum wir solche Fragen stellen?

So trivial diese auch klingen mögen, sie berühren allesamt das Thema deiner Epigenetik. So gehören bereits die Schwangerschaft, gemeinsam mit den ersten Jahren deines Lebens sowie deine Pubertät zu den prägenden Phasen deiner Epigenetik und der Genexpression. Letztere bezieht sich darauf, welche Gene an- und abgeschaltet sind – und genau darum geht es bei der Epigenetik. On oder Off? Dies hängt von zwei Mechanismen ab: von der sogenannten DNA-Methylierung und der Modifizierung von Histonproteinen. Das klingt kompliziert; ist es auch. Doch entscheidend ist allein, dass du Einfluss darauf nehmen kannst.

Hintergrundwissen Epigenetik

Was bedeutet Epigenetik?

Die Epigenetik untersucht, wie Gene durch Umweltfaktoren und Verhaltensweisen reguliert werden, ohne dass die zugrunde liegende DNA-Sequenz verändert wird.

Ein anschauliches Beispiel für epigenetische Regulation stammt aus der berühmten niederländischen Hungerwinter-Studie. Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft unterernährt waren, hatten in späteren Lebensjahren ein höheres Risiko für Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Probleme. Diese epigenetischen Veränderungen zeigen sich oft erst Jahrzehnte später und verdeutlichen, dass unsere Umweltbedingungen die Genaktivität langfristig prägen können.

Funktionelle Medizin & Epigenetik

Hintergrundwissen Epigenetik

Epigenetik als Ursprung vieler Krankheiten

Viele chronische Erkrankungen wie Krebs, Diabetes und neurodegenerative Erkrankungen stehen im Zusammenhang mit epigenetischen Veränderungen. Während genetische Mutationen dauerhafte Schäden verursachen, sind epigenetische Veränderungen potenziell reversibel, was sie zu einem vielversprechenden Ziel für präventive und therapeutische Ansätze macht. Studien zeigen, dass Umweltfaktoren wie Rauchen, Umweltverschmutzung und eine fettreiche Ernährung epigenetische Marker setzen können, die zu einer Dysregulation der Genexpression führen.

Epigenetik – der neue Blick auf Volkskrankheiten

Traditionell wurde die Entstehung von Volkskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder Krebs als das Ergebnis einer genetischen Veranlagung plus Lebensstil angesehen. Doch dieser vereinfachte Ansatz greift zu kurz. Die Epigenetik zeigt, dass es nicht nur darum geht, was wir essen oder ob wir uns bewegen, sondern wie diese Lebensstilfaktoren auf molekularer Ebene Gene an- oder abschalten. Ein besonders aufschlussreiches Beispiel ist die Wirkung von Sport auf die DNA-Methylierung. Eine Studie des Karolinska-Instituts in Schweden hat gezeigt, dass regelmäßige körperliche Aktivität epigenetische Veränderungen in Muskelzellen auslöst, die die Gesundheit positiv beeinflussen können.

Die Biologie der Vergebung – transgenerationale Epigenetik

Emotionale und psychische Zustände wie Stress, Traumata und Vergebung spielen ebenfalls eine bedeutende Rolle in der Epigenetik. Studien deuten darauf hin, dass psychologische Traumata nicht nur das Leben des Betroffenen beeinflussen, sondern auch bei den Nachkommen epigenetische Spuren hinterlassen können. So haben Untersuchungen bei Holocaust-Überlebenden und ihren Nachkommen gezeigt, dass Traumata epigenetische Veränderungen in Stressantwort-Genen hinterlassen können, die das Risiko für Depressionen und Angststörungen erhöhen.

Auf der anderen Seite kann das aktive Vergeben und Lösen emotionaler Konflikte – etwa durch Therapie oder achtsamkeitsbasierte Praktiken – ebenfalls epigenetische Marker beeinflussen. Vergebung, so vermuten Forscher, könnte helfen, Stress zu reduzieren und das Risiko für chronische Entzündungen zu verringern, die wiederum eine Rolle bei vielen Volkskrankheiten spielen.

Epigenetik – der Weg zu Freiheit und Eigenverantwortung?

Die vielleicht wichtigste Erkenntnis aus der Epigenetik ist, dass wir nicht den Launen unserer Gene hilflos ausgeliefert sind. Unsere Gene sind plastisch, und wir haben durch bewusste Lebensentscheidungen die Möglichkeit, die Genaktivität zu beeinflussen. Gesunde Ernährung, körperliche Bewegung, der Umgang mit Stress und soziale Beziehungen haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Epigenetik.

Dabei geht es nicht nur um die Prävention, sondern auch darum, das Schicksal zukünftiger Generationen zu beeinflussen. Die Epigenetik vermittelt uns ein Gefühl von Freiheit, aber auch von Verantwortung – nicht nur für uns selbst, sondern auch für unsere Kinder und Enkelkinder. Eine gesundheitsbewusste Lebensweise kann epigenetische Marker setzen, die den Nachwuchs schützen.

Epigenetik in unseren Händen
Epigenetik testen

Epigenetik testen

Durch die Analyse von Methylierungsprofilen, Histon-Modifikationen und miRNAs können wir präziser verstehen, wie Umwelt und Lebensstil unsere Gesundheit beeinflussen und wie epigenetische Veränderungen zu Krankheiten beitragen. Diese Tests sind entscheidend, um personalisierte Gesundheitsstrategien zu entwickeln und die molekularen Mechanismen hinter chronischen Erkrankungen besser zu verstehen. Es gibt inzwischen kommerzielle Tests, die epigenetische Marker zur Bestimmung von Krankheitsrisiken nutzen. Zum Beispiel:

epiAge-Tests: Diese Tests basieren auf epigenetischen Markern, die das biologische Alter einer Person bestimmen. Der Test analysiert die Methylierungsmuster an spezifischen Stellen im Genom, die mit dem Alter korrelieren. Ein Beispiel ist der „Horvath-Clock“-Test, der weit verbreitet zur Schätzung des biologischen Alters verwendet wird.

Eine neue Ära der Präventionsmedizin

Die Epigenetik markiert den Beginn einer neuen Ära in der Medizin, in der Gene nicht als starres Schicksal, sondern als dynamisches System verstanden werden, das durch unsere Handlungen beeinflusst wird. Diese Erkenntnisse eröffnen ein enormes Potenzial, sowohl für die Prävention von Krankheiten als auch für die Therapie. Indem wir verstehen, wie unsere Umwelt und unser Verhalten auf molekularer Ebene wirken, können wir nicht nur unsere eigene Gesundheit optimieren, sondern auch die Zukunft unserer Nachkommen gestalten.

Quellen:

  1. Spork, Peter (2017). „Gesundheit ist kein Zufall – Wie Gene das Leben prägen.“ Random House FSC
  2. Heijmans, B.T., et al. (2008). „Persistent epigenetic differences associated with prenatal exposure to famine in humans.“ PNAS.
  3. Esteller, M. (2008). „Epigenetics in cancer.“ New England Journal of Medicine.
  4. Pembrey, M.E., et al. (2006). „Transgenerational effects of early life nutrition.“ Nature.
  5. Nitert, M.D., et al. (2012). „Exercise modifies the epigenetic regulation of genes.“ Diabetologia.
  6. Yehuda, R., et al. (2016). „Holocaust exposure induced intergenerational effects on FKBP5 methylation.“ Biological Psychiatry.
  7. Kiecolt-Glaser, J.K., et al. (2015). „Forgiveness, stress, and health.“ Journal of Health Psychology.
  8. Weaver, I.C.G., et al. (2004). „Epigenetic programming by maternal behavior.“ Nature Neuroscience.